An die zehnjährige Wiederkehr des Todes von dem Maler und Zeichner 
        Harald Duwe mit einer Ausstellung zu erinnern, entspringt nicht allein 
        biographischer Pietät oder persönlicher Verpflichtung, - beides 
        spielt natürlich bei den Veranstaltern und bei mir selbst mit. Der 
        entscheidende Grund war vielmehr das Bedürfnis – das uns als 
        Notwendigkeit erschien -, das Werk in dieser besonderen Zeitsituation 
        sowohl in Erinnerung zu rufen als auch auf den Prüfstand erneut zu 
        stellen. 
        Diese besondere Situation betrifft einerseits die strukturellen tief greifenden 
        Veränderungen  der deutschen, der europäischen  und 
        der globalen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Koordination 
        seit der Wiedervereinigung unseres Landes und der damit einhergehenden 
        Zersetzung des sowjetischen Machtbereiches, und sie bezieht sich andererseits 
        auf die Wirkungen des Werkes von Harald Duwe. Zum ersten Komplex muss 
        hier nicht gehandelt werden, denn seit dem Fall  „der Mauer“ 
        werden wir in den letzten Jahren täglich mit den Schwierigkeiten 
        konfrontiert, die sich direkt oder mittelbar aus dem weltweiten Umbruch 
        ergeben; der zweite jedoch geht dieses Ausstellungsunternehmen direkt 
        an.  Deshalb sei hier etwas eingehender auf die Rezeptionsgeschichte 
        des Werkes von Harald Duwe in den letzten zehn Jahren eingegangen.  
         
        I.  
        Am Freitag, den 15. Juni 1984 war Harald Duwe auf der Rückfahrt von 
        Kiel nach Großensee, von seiner Arbeit als Dozent und im Atelier 
        der Fachhochschule Kiel nach Hause tödlich verunglückt. Ohne 
        ersichtlichen Grund war er aus einer Fahrzeugkolonne ausgeschert und mit 
        einem entgegenkommenden Wagen zusammengestoßen, dessen Fahrer ebenfalls 
        starb. Die Trauerfeier am 22. Juni in der Tymmo-Kirche von Lütjensee 
        – ein strahlender Sommertag – vereinigte Familie, Schüler, 
        Freunde und Verehrer seiner Kunst, eine Menschenmenge, die auch etwas 
        Demonstratives bekundete: Duwes Wirkungen in der Kunst Schleswig-Holsteins 
        und darüber hinaus in der Bundesrepublik. Er gehörte zu den 
        profiliertesten „Realisten“ der Republik, eine störrische 
        Minderheit, die sich nicht den Trends der Westkunst unterordnen oder angleichen 
        wollte, ungeliebt, nur vereinzelt auf einer der großen Gegenwartsausstellungen 
        und niemals auf der documenta je vertreten, dennoch von einer Minderheit 
        geschätzt und von einigen Museumsleuten und Kunstkritikern beharrlich 
        gewürdigt. 
        Ich selbst hatte Duwe bald nach Antritt meines Amtes als Direktor der 
        Kunsthalle zu Kiel kennen gelernt, - er wie ich waren Mitglieder der Jury 
        der Bauabteilung des schleswig-holsteinischen Finanzministeriums, die 
        über „Kunst am Bau“ zu befinden hatte. 1974 hatte ich 
        dann die erste Retrospektive seines Werkes in der Kunsthalle veranstaltet. 
        Meine Beweggründe waren vielschichtig. 
        Zuerst war es Pflicht der Kunsthalle, die Kunst der Region wenigstens 
        einmal im Jahr in einer Ausstellung zu berücksichtigen. Dann fiel 
        mir Duwes Malerei gleich zu Beginn meiner Tätigkeit immer wieder 
        auf: Sie schien mir die stärkste künstlerische Potenz in Schleswig-Holstein 
        zu vergegenwärtigen. Als ich sein Atelier also im Herbst 1974 zum 
        ersten Mal besuchte, bestätigte sich dieser Eindruck. Hier war ein 
        Maler, der seit seinem Studium an der Hochschule für bildende Kunst 
        in Hamburg, also seit 1950 als so genannter „freier Maler“ 
        unter Entbehrungen und materiellen Schwierigkeiten mit unerschütterlicher 
        Konsequenz ein Werk geschaffen hatte, welches seine Grundlagen nie verleugnet, 
        vielmehr mit jedem Werk kräftiger fundamentiert hatte: Sichtbare 
        Wirklichkeit zu beobachten und möglichst adäquat darzustellen, 
        Themen zu bearbeiten, die auf politische und gesellschaftliche Ereignisse 
        und Fragestellungen mit provokanter Überzeugung antworteten. Die 
        realistisch-agitatorischen und sozialkritischen Künstler nach 1918, 
        diese Dix, Grosz, Hubbuch, Radziwill, Schlichter betrachtete er als seine 
        Väter, als seine Vorfahren Courbet, Goya, Menzel, Velasquez, Waldmüller. 
        Von den Künstlern der so genannten „klassischen Moderne“ 
        interessierte ihn eigentlich nur Max Beckmann wirklich, in der Gegenwart 
        war er wohl von Francis Bacon früh beeindruckt. Es kümmerte 
        ihn nicht, dass die Kunst nach 1945 diese Tradition kaum beachtete und 
        unter dem Diktat der abstrakten Malerei, des Informel oder der action 
        painting, später der Pop-art usw. in Deutschland den Anschluss an 
        eine zunehmend durch die Kunst der USA geprägte Internationalität 
        erstrebte. 
        Mir hat diese künstlerische Selbstbehauptung imponiert, zumal ich 
        bald merkte, dass dieses Bekenntnis zum Realismus Duwes einzig künstlerische 
        Möglichkeit war. Sie entsprang nicht Überlegungen, sie war 
        nicht Ergebnis taktischer Zielvorstellungen, sie war keine „Kopfgeburt“, 
        sondern dies war für Duwe die einzige sinnvolle Arbeit am Bild, die 
        er sich vorstellen konnte. Er war sozusagen als Realist geboren. Er konnte 
        nur malen und zeichnen, was er beobachtet, was er in der Wirklichkeit 
        wahrgenommen hatte. Von da aus konnte er komponieren und abstrahieren, 
        von an aus seine Themen mit Figuren und Gegenständen inszenieren. 
         
         
        II.  
        Das galt gerade auch für seine thematischen Besetzungen. Die Anstöße 
        kamen von Außen – z.B. haben die Auschwitzprozesse der 60er 
        Jahre seine Bildfolge der Gefolterten veranlasst -, trafen aber in ihm 
        auf eine tiefe Bereitschaft zur Konfession. Kunst war für Duwe auch 
        seine Möglichkeit, Stellung zu beziehen, Bekenntnis abzulegen, in 
        die politischen oder gesellschaftlichen Prozesse einzugreifen. Im Grunde 
        glaubte er an die gesellschaftliche Wirksamkeit der Kunst, ohne sich allerdings 
        Illusionen über deren verändernde Kraft zu machen. 
        Duwes Figurenbilder mit Auschwitzthematik, seine Strandbilder, seine politisch 
        engagierten oder gesellschaftskritischen Arbeiten waren in der Regel unverkäuflich, 
        stießen auf verdrückte Ablehnung oder offene Missachtung. Ihn 
        hat das sicherlich oft verletzt, aber nicht davon abgehalten, in dieser 
        Richtung weiterzumachen. 
         
        Auch dies entsprang keiner Strategie. Duwe konnte nicht anders künstlerisch 
        arbeiten. Die Themen waren in ihm, wurden nur durch äußere 
        Anlässe ans Licht geholt oder besetzten den Künstler so, dass 
        er sich von ihnen befreien musste, indem er sie gestaltete. Dabei war 
        Duwe ein „Linker“, aber kein linker Opportunist. Seine kleinbürgerliche 
        Herkunft, die Erfahrungen der Naziherrschaft und des Krieges hatten ihn 
        unwiderruflich geprägt. Immer fand er sich deshalb, ohne nachzudenken 
        zu müssen, auf der Seite der alltäglichen Belastungen und der 
        ärmlichen Banalitäten auf Seiten der Opfer, der Aufbegehrenden, 
        der kleinen, zu Fettpolstern und Wohnwagen gekommenen Leute. Dabei sah 
        er dies alles und alle diese nicht unkritisch, sondern scharf und mit 
        liebender Schonungslosigkeit. Er hat selten idealisiert, seltener pathetisch 
        überzeichnet. Sein Pathos lag in der Vorstellungskraft, die detailliert 
        die grässlichen Verletzungen der am Balken hängenden Gefolterten 
        mit nicht nachlassender Wut beschrieb und in der sich Abscheu und Faszination 
        mischte. Manchmal hat er da des Schrecklichen zuviel getan, manchmal wollte 
        er zuviel erzählen, manchmal war die thematische Besetzung zu groß, 
        ließ sich nur schwer im Bild bändigen. Aber immer wieder gelangen 
        ihm eindrucksvolle stimmige Formulierungen, die noch heute und die –wie 
        ich überzeugt bin – auch in Zukunft ihre Überzeugungskraft 
        bewahren. 
         
         
        III.  
        Alles dies war für mich der dritte Grund, Duwes Werk 1974 zu zeigen, 
        für die Kunsthalle eine Folge seiner Bilder zu erwerben und sein 
        Werk über die Jahre hin nicht aus den Augen zu lassen. Die Tatsache, 
        dass es im Schatten der Kunstentwicklung nach 1945 in Deutschland und 
        im westlichen Ausland lag, irritierte mich dabei nicht, sondern bestärkte 
        mein Interesse an Harald Duwes Arbeiten. Ich habe nie viel von den Trends 
        unserer Kunstszene gehalten. Sie ebnen ein, geben taktisch Starken und 
        künstlerisch Schwachen immer wieder die Möglichkeit, unverhältnismäßig 
        beachtet zu werden. Anderes bleibt im Schatten. Oft wird es plötzlich 
        “entdeckt“ und gefeiert, oft bleibt es verborgen. Mir schien 
        es die Pflicht eines regionalen/überregionalen Museums zu sein, sich 
        auch für die wenigen eigenständigen Künstler der Region 
        mit Nachdruck einzusetzen, unabhängig von den Direktiven des Kunstbetriebes. 
        Nach meiner Auffassung sollten Museen gerade in der Gegenwartskunst nicht 
        Trends folgen und so verstärken, sondern Künstler fördern, 
        deren Werk die Ausstellungsverantwortlichen überzeugt. Duwes Werk 
        ist für mich en Musterbeispiel für Unabhängigkeit und künstlerische 
        Individualität geblieben. Das ist auch Zeichen künstlerischer 
        Qualität, die sich in der Inkarnation dessen zu bewähren hat, 
        was den Künstler tatsächlich bewegt, das, was er mitfühlend 
        und engagiert unabhängig von Tradition, Stilen oder Kunstaktualität 
        für wahr und deshalb für gestaltenswert hält. Für 
        den außen stehenden kritischen Beobachter –und als solcher 
        hat der Museumsmann zu handeln – ist es letzten Endes dabei unerheblich, 
        ob ein solches Werk in seiner Gegenwart Erfolg hat oder beachtet wird. 
        Wenn ein Künstler sich mit Haut und Haaren seinem Werk verschreibt, 
        rücksichtslos gegen sich selbst (und oft genug gegen andere), ist 
        diese Besessenheit die Voraussetzung für eigenschöpferisches 
        Handeln. Bei Duwe war das der Fall, und so hat mich seine Malerei immer 
        wieder gefesselt und immer wieder überzeugt. Dass daraus eine Freundschaft 
        entstanden ist, die harte Dispute ebenso zuließ wie gemeinsame Kunsterlebnisse 
        in Museen oder Konzertsälen, - dafür behalte ich lebenslang 
        die Gewissheit des Beschenkten. 
         
         
        IV.  
        Duwes Einwirkungen waren in den siebziger und in den wenigen Jahren nach 
        1980 in Schleswig-Holstein kaum zu überschätzen, in der Bundesrepublik 
        war er weithin bekannt als engagierter Vertreter einer realistischen Malerei. 
        1970 hatte er in Hamburg den Edwin-Scharff-Preis erhalten, der mit einer 
        Ausstellung verbunden war. Seit 1975 war er Lehrer einer Malerei –Klasse 
        am Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Kiel, 1981 wurde ihm der 
        Kulturpreis der Landeshauptstadt Kiel verliehen. 
        Duwe war ein unbequemer Lehrer. Dennoch haben ihn seine Schüler anerkannt, 
        ja auch geliebt, weil er mit seiner Meinung nicht hintern Berg hielt, 
        offen diskutierte und seine Überzeugungen mit Nachdruck vertrat, 
        die seine Studenten vielleicht gerade dann beeindruckten, wenn sie gegensätzlicher 
        Auffassung waren. So manchen hat er auf diese Weise zu künstlerischen 
        Entscheidungen getrieben, denn flaue Neutralität war nicht seine 
        Sache. Dementsprechend war sein Einfluss auf die Kunst im nördlichen 
        Bundesland bedeutend. Er verkörperte mit seinem Werk eine Position, 
        die zur Auseinandersetzung herausforderte. Dazu hat er viel dazu beigetragen, 
        dass Kunst und Künstler in der Region lebendig und diskussionsbereit 
        blieben und nicht „hinter den norddeutschen Knicks“ in einem 
        Schonraum, landesweit gepäppelt, zu anspruchsloser Zufriedenheit 
        verkommen sind, - die drohende Gefahr der Kulturhoheit der Bundesländer. 
        Die Anerkennung von Harald Duwes Werk und Wirken hat sich in der Gedenkausstellung 
        der Hamburger Kunsthalle im November 1984, die Werner Hofmann eingerichtet 
        hat, ebenso niedergeschlagen wie in der großen Retrospektive, die 
        ich 1987 in der Kunsthalle zu Kiel veranstaltete. Damit war der Höhepunkt 
        der Wirkung dieses Werkes zugleich erreicht und überschritten. Die 
        Tatsache, dass Duwes Werk heute im deutschen Bewusstsein kaum noch eine 
        Rolle spielt, dass seine Werke von den Museen in die Depots verbannt werden, 
        dass seitdem keine größeren Ausstellungen in Kunstvereinen 
        oder Museen mehr stattgefunden haben, ja dass einzelne Bilder als eine 
        Art dokumentarische Belege nur noch bei Themenausstellungen zu finden 
        sind, zeigt, dass Duwes Schaffen dabei ist, in Vergessenheit zu fallen. 
        Das hat mehrere Gründe, die ich versuchen will, zu benennen. 
        In Schleswig-Holstein hatte man gewiss Duwes Schaffen auch mancherorts 
        als Belastung empfunden. Manche Künstler fühlten sich an den 
        Rand gedrängt, zumal sich nicht nur die Kunsthalle zu Kiel unter 
        meiner Leitung in der Region eindeutig zu diesem Schaffen bekannte, sondern 
        auch die anderen Museen immer wieder seine Arbeiten zeigten. Bei den Ausstellungen 
        schleswig-holsteinischer Kunst der Gegenwart war er in der Regel prominent 
        vertreten. Es ist verständlich und folgt dem Gesetz der Generationen, 
        dass Duwes Wirkungen nach seinem Tod verblassten. Nach dem Tod eines Künstlers 
        und nach den gemeinhin folgenden Gedenkausstellungen tritt zumeist eine 
        Zäsur ein, die notwendig ist, um Distanz zu gewinnen und die Person 
        vom Werk zu trennen, das nun ohne seinen Meister allein bestehen muss. 
        Allerdings währt diese Pause in Schleswig-Holstein nun zehn Jahre, 
        auch ein Grund für uns, wieder an dieses Werk zu erinnern. 
        Vielleicht spielte in Schleswig-Holstein auch der Regierungswechsel mit. 
        Endlich, nach mehr als drei Jahrzehnten hatte die SPD 1988 wieder die 
        Landesregierung übernommen, - auf die Umstände dieser Wahl sei 
        hier nicht eingegangen. Duwe jedenfalls hätten sie zu Bildern herausgefordert. 
        Es lag nun der mit sensationeller Mehrheit gewählten Partei daran, 
        die Wählerscharen auf allen möglichen Gebieten der Landespolitik 
        freundlich zu stimmen. Duwes kritischer Realismus passte da nicht ins 
        Bild. Der Gedanke, einen Harald-Duwe-Preis zu stiften, der von der SPD 
        noch 1987 öffentlich verkündet worden war, wurde stillschweigend 
        begraben. Die Tatsache jedoch, dass unter der neu gewählten Ministerpräsidentin 
        diese Ausstellung und Publikation über den Zeichner Harald Duwe möglich 
        geworden ist, mag hier ein Umdenken signalisieren. 
        Es kommt aber noch ein anderer, gravierendster Grund hinzu. Wer in den 
        sechziger bis achtziger Jahren Duwes Werk abschätzig beurteilen wollte, 
        erinnerte gern an den Sozialistischen Realismus der DDR. Künstler 
        wie die Nationalpreisträger Gille, Heisig oder Sitte waren Duwe doch 
        offensichtlich verwandter als die meisten aktuellen Künstler in der 
        Bundesrepublik. Bilder zu malen, auf denen die Demonstranten Tafeln mit 
        Kiesinger-Bildnis oder mit Helmut-Schmidt-Konterfei vorzeigten, Bilder, 
        auf denen Polizisten zuschlugen und Demonstranten Steine aus der Straße 
        rissen, überhaupt die kritische wahrhaftige und treffende Darstellung 
        bundesrepublikanischen Wohlstandes am Strand oder am vollen Esstisch, 
        der Bundeswehr, der bösen Wohlstandskinder, die ihre Torten umklammern 
        und sich um Schokoladen-Osterhasen streiten, - diese ganze Kunst mit ihrer 
        aufsässigen Thematik war eigentlich ein bisschen verdächtig, 
        zumindest eine Parallele zur Kunst in der DDR und deren agitatorischen 
        Inhalte. Hinzu kam, dass die SED-freundliche Zeitschrift TENDENZEN mehrfach 
        über Duwes Werk berichtet hatte. 
         
        Seit Zerstörung der Mauer, seit der Wiedervereinigung ist auch der 
        gesamte Realismus, sei er nun DDR-geprägt oder bundesdeutsch, in 
        Verruf geraten. Künstler wie Gille, Heisig, Sitte und Tübke 
        wurden nun als abschreckende Künstlerexistenzen verurteilt, ihre 
        Werke in den Orkus verbannt. Diskussionen in einigen führenden Zeitungen 
        haben das Verdikt über die DDR-Kunst fürs erste und im Ganzen 
        scheinbar befestigt. Ich denke, Duwes Schaffen ist in diesem Strudel mit 
        hineingerissen worden, obgleich es kaum etwas mit der Entwicklung in der 
        DDR zu tun hat. Duwe selbst war alles andere als ein Kommunistenfreund. 
         
        Wenn ich eine Prognose wagen darf, so würde ich die Widerauferstehung 
        des Duweschen Werkes nicht mehr in diesem Jahrhundert erwarten. Zu sehr 
        ist es gerade mit der alten Bundesrepublik verbunden, zu sehr auch mit 
        der Identität der Deutschen überhaupt. Erst wenn die Deutschen 
        zu sich selbst gefunden, erst wenn sie gemeinsam ihren Standort in der 
        Welt neu und verpflichtend bestimmt haben, wird auch das Schaffen eines 
        Harald Duwe seinen historischen und seinen jeweils gegenwärtigen 
        Wirkungsbereich finden. Dass wir es jetzt, 1994, unternehmen, sein zeichnerisches 
        Werk wieder ins Bewusstsein zu heben, möchte der öffentlichkeit 
        die Möglichkeit geben, dieses Schaffen auf seine künstlerische 
        Aussagekraft hin zu prüfen, dessen Leistung zu erkennen, dessen Grenzen 
        abzuschätzen. Jeder mag selbst beurteilen, ob oder in wie weit ihn 
        Duwes Werk heute betrifft. So mag wenigstens ein Wissen um die Substanz 
        dieses Werkes wach bleiben bis es zu neuer Aktualität entdeckt wird. 
         
        Einiges ist schon heute von zeitloser Gegenwärtigkeit. Ich denke 
        besonders an so manches Strandbild, an die Darstellungen ausgelieferter 
        Opfer, an die Demonstrationen und die Fördeszenen, ich denke an 
        die Kinder-Bilder. Sie sind erschreckender Weise so aktuell wie zur Zeit 
        ihrer Entstehung, sie sind zum Teil noch vor uns, weil wir ihre Botschaft 
        noch nicht wirklich wahrgenommen haben. 
         
         
        V.  
        Noch eine letzte Überlegung sei dargelegt. Es ist kein Zweifel, es 
        sind offensichtlich seit den dreißiger Jahren nicht Werke bildende 
        Kunst, die uns Katastrophen, Kriege, politische und gesellschaftliche 
        Ereignisse ins Gedächtnis eingeprägt haben, sondern es sind 
        Fotografien, es sind Filme, es sind Fernsehbilder. Leni Riefenstahls Filmdramen 
        sagen mehr und Präziseres über die nationalistische Herrschaft 
        aus als z.B. Kokoschkas allegorische Agitationsbilder der 40er Jahre. 
        Die Judenvernichtung vergegenwärtig sich uns im Foto aus dem Warschauer 
        Getto mit dem kleinen Jungen, der die Hände hoch nimmt oder mit dem 
        Dokumentarfilm „Nacht und Nebel“. Dasselbe gilt für die 
        deutsche Kapitulation, für den Vietnam-Krieg (das Foto mit den Kindern, 
        die auf den Fotografen zulaufen, mit Napalmwunden bedeckt), für Kennedys 
        Ermordung, für Willi Brandts Kniefall in Warschau, natürlich 
        für die Ereignisse am 9. November 1989 und heute für den Krieg 
        im ehemaligen Jugoslawien und die Uno-Einsätze in Somalia. Es gilt 
        im Grunde für alles, was sich ereignet, besonders für alles 
        Schreckliche, nicht Fassbare. Die Kamerabilder prägen unser Gedächtnis, 
        nicht die der Kunst. (Was geschieht, wenn man einem Ereignis die Bilder 
        verweigert, lehrt uns der Golfkrieg. Er bleibt für uns ein abstraktes 
        Feuerwerk in Bagdad.) 
         
        Wenn in dieser Situation ein kritischer Realist nicht die Palette an die 
        Wand hängt und sein Atelier zum Partyraum umbaut, muss er sich dieser 
        Konkurrenz stellen, in der er jedenfalls erst einmal der Unterlegene ist. 
        Gegen die Kamera kann er nicht anmalen. Wie schon Otto Dix in seinen Kriegs- 
        und Krüppelbildern, wie schon George Grosz in seinen Schilderungen 
        der Raffgesellschaft der Besitzenden der zwanziger Jahre muss er Parabeln, 
        Gleichnisse erfinden, muss weglassen und komprimieren. Er darf nicht als 
        Reporter vorgehen und nicht als pathetischer Agitator. Ausgehend von Realität 
        muss er Realität erfinden. Das Detail muss stimmen, aber diese Stimmigkeit 
        darf nicht ins Fotografische abgleiten. Der Realist muss sich signifikante 
        Situationen erarbeiten und muss dabei seine illustrative und narrative 
        Darstellungslust zügeln. Oft sagt eine Figur, ein Gesicht mehr als 
        eine Figurenkomposition. Unsere Ausstellung gibt eine Vorstellung von 
        Duwes unablässiger Bemühung, letzte Konzentration zu gewinnen. 
        Der Schnappschuss der Kamera, der Zufall des „glücklichen Augenblicks“, 
        dem so manches unvergessliche Foto seine Entstehung verdankt, ist dem 
        Realisten verwehrt. Eher ist er zu vergleichen mit dem Regisseur, der 
        Atmosphäre und Handhabung einer Szene plant, den Kameramann einweist 
        und dennoch der Eingebung eines Augenblicks, einem Zufall das Beste verdanken 
        kann. Überdies: Die Inhalte müssen in Malerei aufgehen. Sie 
        darf nicht das Gerüst des Bildes kolorieren, sie muss es auflösen, 
        um es in Malerei, in Farbe und Form, in Materialität und diesem kaum 
        benennbaren Element von Spiritualität neu zu erschaffen. Zwischen 
        Plakat und dokumentarischem Foto muss der Maler den schwierigen Weg der 
        Malerei beschreiten. Der Realist braucht also eine Bildvision, die zwischen 
        Wirklichkeitsnähe und inhaltlicher Tendenz einen zwingenden Ausgleich 
        findet, der sich im Bild und nur und ausschließlich im Bild vergegenwärtigt. 
         
        Harald Duwe ist dies immer wieder gelungen. Ich merke es daran, dass seine 
        Bilder meine Sicht auf die Wirklichkeit verändert haben. Sitze ich 
        z.B. am Strand, so sehe ich die dicken Mammis, die Kinder und Wurstesser 
        mit seinen Augen, - und denke dann oft, er war doch ein Menschenfreund, 
        die Wirklichkeit ist viel abstoßender. In seinen Kinderbildern hat 
        er überzeugende Gleichnisse geschaffen, die alles über unsere 
        Wohlstandsgesellschaft aussagen. Das Thema „Floß auf der Förde“ 
        ist überlokales gültiges Menetekel. Seine Figuren und Bildnisse 
        aus der zweiten Hälfte der sechziger Jahre, in denen der Auschwitzzyklus 
        im Mittelpunkt stand, bleiben in ihrer morbiden Fleischlichkeit zeitlose 
        Darstellungen von Opfern. Wie sich seine Gefolterten in ihrer grausigen 
        Eindringlichkeit als Kunstwerke bewähren, bleibt abzuwarten. Fest 
        steht, immer wenn Duwe reduziert, immer wenn er seine penetrante Direktheit 
        zügelt, immer wenn er seine thematische Besessenheit beherrscht, 
        seinen moralischen Protestantismus an die Kandarre nimmt, hat er überzeugende 
        Bilder geschaffen, in denen Malerei und Inhaltlichkeit aus sich selbst 
        das Bild errichten und eine neue Einheit bilden. 
         
        Aber gewiss ist auch dies: Ohne das Wagnis der großen Erzählbilder, 
        des Ausmalens von grausigen Details wären ihm diese Werke nicht gelungen. 
        Scheitern und künstlerischer Erfolg (nicht Kunstmarkterfolg) liegen 
        bei ihm, wie bei jedem Künstler, der diese Benennung verdient, dicht 
        beieinander. Wie er sich aus seinen Begrenzungen jeden Tag wieder herausgearbeitet 
        hat bis zum einzig richtigen Bild, das bleibt seine schöpferische 
        Leistung. Dabei galt sein Interesse dem Menschen und seiner gesellschaftlichen 
        und sozialen Umwelt. Hier lag sein Engagement “Partei ergreifen“ 
        – ein Schlagwort der Linken in den siebziger Jahren – lehnte 
        er ab als idealistische Position. Er war als Künstler Beobachter, 
        nicht Agitator. Indem er malte, zeichnete, erklärte er sich selbst 
        die Wirklichkeit der Welt und der Katastrophen – und Unterdrückungsgeschichte 
        seit 1933, erklärte, klärte er seine eigenen Ängste, Erlebnisse, 
        Erfahrungen und seine traumatische Befindlichkeit. Er malte für sich 
        selbst und stellvertretend für uns. Wie weit heute und in Zukunft 
        die Wirkungen seines Schaffens reichen, - ich weiß es nicht. Doch 
        ich bin der Überzeugung, dass jeder aufmerksame Betrachter seines 
        Werkes nicht nur einiges über die Realitäten seiner Zeit erfährt, 
        sondern auch über sich selbst..  
         
         
         
         
      
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